Discussion:
Alterung von Isolationen durch Hochspannung
(zu alt für eine Antwort)
Marte Schwarz
2007-02-25 00:41:45 UTC
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Hallo zusammen,

mich beschäftigen mal wieder Spannungen jenseits der 2 kV. Bei der
Spannungsfestigkeit von Ünertragern wird zur Prüfspannung immer wieder auch
eine Prüfzeit angegeben. Ich hab mal bei einem Hersteller nachgefragt, was
denn danach passiere. Die Antwort war, dass die Isolation irgendwann
nachgebe. Wann, das sei nicht mehr spezifiziert, nur eben die beschriebene
(und wohl auch getestete) Zeitspanne. Wie man sich das vorstellen müsse, ob
sich da der Kunststoff zersezte oder wie, darauf wollte mir mein
Gesprächspartner keine Auskunft erteilen.

Ähnlich ging esmir mit den Kondensatoren, deren Lebensdauer anscheinend
erheblich von der Spannung abhängt, mit der sie geladen sind. Ganz schlimm
sei es, wenn ich die Folienkondensatoren invers auflade (Entladung durch
eine Spule). Das gehe ganz empfindlich auf die "Lebenserwartung" des
Kondensators. Wie und warum... ??? !
Es geht hier ja nicht um Elkos, sondern um Folienkondensatoren, wahlweise
Papier/Öl oder Kunststoff.

Wie altern Isolationswerkstoffe aus Kunststoff in Kondensatordielektrika bzw
Übertragern?
Sachdienliche Hinweise, Literaturstellen oder kurze und nachvollziehbare
Erklärungen sind herzlich willkommen.

Wie macht das der Profi dann? Auslegen auf 50% 60% 70%... der Prüfspannung
(1 min) ??? Und wie lange hält das dann?

Marte
Klaus Bahner
2007-02-25 10:52:57 UTC
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Hallo Marte,
Post by Marte Schwarz
Wie altern Isolationswerkstoffe aus Kunststoff in Kondensatordielektrika bzw
Übertragern?
Sachdienliche Hinweise, Literaturstellen oder kurze und nachvollziehbare
Erklärungen sind herzlich willkommen.
Das ist ein komplexes Thema, dass man nicht in ein paar kurzen Zeilen
abhandeln kann. Kunststoffe altern im DC Feld meisten aufgrund von sich
ausbildenden Raumladungen, stark vereinfacht gesagt, kannst du dir das
so vorstellen, dass es auch im Kunstoffisolator freie Ladungstraeger
gibt, Elektronen und eben geladene Molekuele, die allerdings sehr
schlecht beweglich sind. Liegt eine Gleichspannung lange an, dann
wandern die Ladungstraeger langsam aber stetig und bilden Raumladungen.
Irgendwann zerstoert das Feld den Kunststoff, je nach verwendetem
Kunststoff kommt es zum Beispiel zu Verkohlungen, die dann leiten und
den Zerstoerungsprozess drastisch beschleunigen. Dieser Mechanismus ist
zum Beispiel bei PVC besonders deutlich ausgepraegt, so dass sich PVC
schlechter zur langfristigen Isolation eignet als zum Beispiel PEEK oder
(XLD-)PE, obwohl die letzteren eine geringere Durchschlagsspannung haben.
Bei Wechselfeldern tritt der Raumladungseffekt nicht auf, hier ist der
zerstoererische Effekt die staendig, wechselnde Polarisierung des
Kunststoffs. In gewissen Rahmen ist aber richtig zu sagen, dass die
Gleichspannungsfestigkeit von Isolatoren geringer als die
Wechselspannungsfestigkeit ist. Was wiederum nur eingeschraenkt fuer
Kondensatordielektrika gilt, da die besonders hart belastet sind, hier
spielt dann zum Beispiel die maximale Stromanstiegsgeschwindigkeit eine
Rolle.
Erschwerend zu obigen Ausfuehrungen kommt hinzu, dass die Lebensdauer
von Isolatoren auch von schwer zu kontrollierenden aeusseren Parametern
abhangt, wie z.B. Reinheit und Homogenitaet des Kunststoffes,
mechanische Spannungen, Feuchtigkeitsaufnahmen, Verschmutzung, UV und
radioaktive Strahlung, Oberflaechenbehandlung, Temperatur,
Oberflaechenladung durch Ionen (die z.B. durch Corona entstehen koennen)
usw. usw.
Sprich es ist extrem schwierig hier was zu berechnen, und meiner
Erfahrung nach wird so etwas mehr oder weniger immer nach Erfahrung und
mit erheblichem Sicherheitsmargin designt, sprich man tastet sich voran
und man passt sich ueber die Jahre an die speziellen Gegebenheiten der
konkreten Applikation an. Das ist eher schwer zu formulierendes Know-how
als exakte Wissenschaft.
Einschraenkend muss ich hinzufuegen, dass das obige jenseits von ca.
10kV gilt. Darunter finde ich ist dass zumindest im Fall von Isolatoren
(gilt nicht fuer Kondensatoren mit ihrem duennen Dielektikum) eigentlich
kein Problem, da meist die mechanischen Gegebenheiten bereits eine
Materialstaerke erzwingen, die auch ohne grosses Nachdenken auf der
sicheren Seite liegt.
Literatur findet sich zu Hauf in "IEEE Transaction on Dielectrics and
Electrical Insulation", oft allerdings mit begrenzter
Praxisverwertbarkeit, weil man eher keine Geraete in seinem Labor hat um
Raumladungen oder Partial Discharges zu messen :-(
Post by Marte Schwarz
Wie macht das der Profi dann? Auslegen auf 50% 60% 70%... der Prüfspannung
(1 min) ??? Und wie lange hält das dann?
Ich habe keine Ahnung wie Kondensatorprofis das machen, im Falle von
Isolatoren sind meiner Meinung nach 1min viel zu kurz. Bei Isolatoren
betrachte ich Tage bis Monate als einen aussagekraeftigen Test und
persoenlich versuche ich, soweit praktikabel einen Faktor 2-3 zwischen
Pruefspannung und Betriebsspannung einzuhalten.

Gruss
Klaus
Marte Schwarz
2007-02-25 19:47:08 UTC
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Hallo Klaus,
Post by Klaus Bahner
Post by Marte Schwarz
Wie altern Isolationswerkstoffe aus Kunststoff in Kondensatordielektrika
bzw Übertragern?
Sachdienliche Hinweise, Literaturstellen oder kurze und nachvollziehbare
Erklärungen sind herzlich willkommen.
Das ist ein komplexes Thema, dass man nicht in ein paar kurzen Zeilen
abhandeln kann.
So weit war ich auch schon ;-) Wenn das in 2 Sätzen beschrieben gewesen
wäre, dann hätte man sich kaum so davor gedrückt, mir das zu verklickern.
Post by Klaus Bahner
Kunststoffe altern im DC Feld meisten aufgrund von sich
...

Vielen Dank schon mal. Das deckt sich mit dem, was ich mir schon
zurechtgereimt hatte. Wenn ich so was noch irgendwo referenzierbar hätt,
dann würde sich mein Kunde ggfs leichter tun. Der will die Sicherheitsmarge
nämlich nicht so recht einsehen :-(
Post by Klaus Bahner
Einschraenkend muss ich hinzufuegen, dass das obige jenseits von ca. 10kV
gilt. Darunter finde ich ist dass zumindest im Fall von Isolatoren (gilt
nicht fuer Kondensatoren mit ihrem duennen Dielektikum) eigentlich kein
Problem, da meist die mechanischen Gegebenheiten bereits eine
Materialstaerke erzwingen, die auch ohne grosses Nachdenken auf der
sicheren Seite liegt.
Nun ja. Ich sehe das bei Lackisolation und Dielektrikum nicht so Verschieden
im Wesen.
Post by Klaus Bahner
Literatur findet sich zu Hauf in "IEEE Transaction on Dielectrics and
Electrical Insulation", oft allerdings mit begrenzter
Praxisverwertbarkeit, weil man eher keine Geraete in seinem Labor hat um
Raumladungen oder Partial Discharges zu messen :-(
Mal wühlen.
Post by Klaus Bahner
Post by Marte Schwarz
Wie macht das der Profi dann? Auslegen auf 50% 60% 70%... der
Prüfspannung (1 min) ??? Und wie lange hält das dann?
persoenlich versuche ich, soweit praktikabel einen Faktor 2-3 zwischen
Pruefspannung und Betriebsspannung einzuhalten.
Faktor 2 dürfte schon schwer sein, durchzusetzen, das muss ich dann schon
als 50% ausdrücken ;-)

Marte
Klaus Bahner
2007-02-26 05:57:39 UTC
Permalink
Hallo Marte,
Post by Marte Schwarz
Nun ja. Ich sehe das bei Lackisolation und Dielektrikum nicht so Verschieden
im Wesen.
Wenn es dir hauptsaechlich um Lackisolierung geht, dann kannst du ja
vielleicht noch mal in d.s.i.e nachfragen, da sind ja einige, die sich
auf elektrische Maschinen verstehen. Generator und Hochspannungstrafo
Konstrukteure muessen sich ja taeglich mit diesem Problem herumschlagen.
Das einzige was ich da aus eigener Erfahrung beitragen kann ist, dass
sich Vakuumtraenken/Vergiessen lohnt. Werden alle Hohlraeume homogen
ausgefuellt, dann vermeidet man lokale Feldstaerkespitzen und
Verunreinigungen, das erhoeht die Lebensdauer merkbar.
Ebenso lohnt sich im Falle von Uebertragern auch die Verwendung
vonIsolierlagen aus Kapton (schweineteuer, aber das ist einer der
Kunststoffe dem man in solchen Faellen vertraut).
Beides wird deinem Kunden allerdings wohl eher nicht gefallen :-)

Gruss
Klaus
Harald Wilhelms
2007-02-26 13:00:17 UTC
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Post by Klaus Bahner
Ebenso lohnt sich im Falle von Uebertragern auch die Verwendung
vonIsolierlagen aus Kapton (schweineteuer, aber das ist einer der
Kunststoffe dem man in solchen Faellen vertraut).
Wenn man kein Kapton will, kann man ja
auch Polyimid nehmen. :-)
(Kapton ist ein Markenname der Firma Du Pont)
Gruss
Harald
Michael
2007-02-26 19:51:00 UTC
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Post by Klaus Bahner
Literatur findet sich zu Hauf in "IEEE Transaction on Dielectrics and
Electrical Insulation", oft allerdings mit begrenzter
Praxisverwertbarkeit, weil man eher keine Geraete in seinem Labor hat um
Raumladungen oder Partial Discharges zu messen :-(
Mir fällt dazu auch der Name Klaus Stimper ein (derzeit Lehrstuhl an der BW-Uni Neubiberg,
URL: http://forschung.unibw-muenchen.de/info.php?id=656). Vielleicht ergibt eine
Literaturrecherche ein paar sinnvolle Ergebnisse.

Gruß,
Michael

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